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Die Blutgerichtsbarkeit
In Umstadt übten die beiden Landesherren (zuletzt Kurpfalz und Hessen-Darmstadt) seit alters her die sog. Hohe Gerichtsbarkeit aus. Wenn es vor dem zentralen Land- und Centgericht um „Hals und Haupt“ ging, sprach man von der „Blutgerichtsbarkeit“. Über die Einzelheiten des Verfahrens hat der Verfasser bereits an anderer Stelle berichtet. Im Folgenden soll der letzte Akt der Vollstreckung eines Blutgerichtsurteils in unserer Stadt geschildert werden. Die maßgebliche Urteilsformel lautete: „Die Peinlich Beklagte soll mit dem Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden.“

Die Hinrichtungen mit dem Schwert fanden auf dem Marktplatz statt. Über die Anzahl der Vollstreckungen kann man nur spekulieren, weil die Gerichtsakten sehr lückenhaft sind. Angeklagt waren häufig Frauen aus den unteren Schichten, die unverheiratet oder außerehelich ein Kind zur Welt gebracht und aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung getötet hatten. Wenn die Obrigkeit sie erwischte, hatten sie keine Gnade wegen ihrer „hurerey“ zu erwarten. Der Mann dagegen, der sich der „fleischlichen Vermischung“ schuldig gemacht hatte, war entschieden besser dran, auch wenn im Einzelfall viel dafür sprach, dass er mit der Tötung einverstanden war und sie gar gefördert hatte. Wenn er überhaupt belangt wurde, war die Sache in der Regel mit einer „kirchenbuß“, abgetan. Er hatte seinen Fehltritt öffentlich in der Kirche vor versammelter Gemeinde einzugestehen. Damit war für ihn die Sache abgetan. Das alles war nicht etwa herrschaftliche Willkür, sondern entsprach dem überwiegenden Willen der Bevölkerung. Diese forderte den Kopf der „Hure“ und drängte sogar auf Beschleunigung, wie wir noch in dem folgenden Fall sehen werden.
Barbara Moßer aus Groß-Zimmern
Ihre Festnahme
andere Sprache.
Die Untersuchungen
Obwohl die Beschuldigte die Tat nicht abstritt und angesichts der Umstände auch gar nicht abstreiten konnte, setzten die Behörden ein aufwändiges Ermittlungsverfahren in Gang. . Der Umstädter Stadtphysicus Doktor Hoffmann und der „chirurgus“ Engau obduzierten mit den Barbieren Kern und Meinhard die Leiche des Kindes. Stadtschultheiß Sturmfels, Oberbürgermeister Schell und Stadtrat Poth vernahmen verschiedene Personen aus Münster als Zeugen. Dabei fand eine Gegenüberstellung mit den beiden beschuldigten Frauen statt. Über den Stand und das Ergebnis der Ermittlungen erstellte der Stadtschreiber einen Bericht, den der Amtsbote am 17. 12. 1752 nach Darmstadt brachte. Währenddessen warteten die beiden Frauen im Gefängnis auf den Entscheid der Landesherrn.
Man kann nicht sagen, dass sie in ihrer Gefangenschaft schlecht versorgt wurden Sie bekamen täglich eine Mahlzeit mit Suppe, Gemüse und Fleisch, weiterhin für 2 albus (Weißpfennige) Brot und ein Schoppen Wein, weiterhin Öl zur Beleuchtung und ein paar Bündel Stroh für das Nachtlager. Barbara Moßerin erhielt in der ersten Zeit als „Kindbetterin“ zur Kräftigung „acht Weinsuppen mit Gewürz“.
Das Urteil
Als das Jahr 1753 anbrach, wartete die Bevölkerung ungeduldig auf den Fortgang des Verfahrens. Am 12.01.1753 trafen sich alle Centdeputierten (Vertreter der Stadt und die CentSchultheißen der Dörfer) und baten die Beamten „um Beförderung der Angelegenheit wegen der beiden Weibspersonen.“ Zur gewünschten Beschleunigung der Angelegenheit verfassten sie am 06.02.1753 ein „memoriale“, das sie dem pfälzischen Beamten von Wreden mit auf den Weg nach Mannheim gaben. Als die Akten von dort nach Darmstadt gesandt wurden, fuhren zwei Abgesandte der Deputierten hinterher, um auf baldige Entscheidung zu dringen. Sie hatten Erfolg. Am 26. 02. 1753 traf das „Urteil beiderseits Herrschaften“ in Umstadt ein. Es lautete auf den Tod durch das Schwert, die seinerzeit übliche Bestrafung für Kindsmörderinnen.
Alle Deputierten kamen wiederum nach Umstadt, um über den weiteren Fortgang zu beraten. Stadtschultheiß Sturmfels und Bürgermeister Schell spendierten jedem der herrschaftlichen Beamten „auf die erfreuliche und längst erwünschte Hinrichtung der Kindsmörderin Anna Barbara Moserin“ auf Kosten von Stadt und Cent „eine gute Flasche Wein von 2 1/2 maaß“ und einen „guten mürben Kuchen“, gebacken von Leonhard Frieß. Das Ratsmitglied Johann Georg Hundt „verkündigte“ der Verurteilten den Tod. Am 25.04.1753, einem Mittwoch, sollte die Hinrichtung auf dem Markt in Umstadt stattfinden.
Sechs Tage davor, am 19.04.1753, führte der Stadtknecht Barbara vom Stenbornsturm zum Rathaus in das „Arme-Sünder-Stübgen“, das für die Todeskandidaten reserviert war. Dort erhielt sie jeden Tag eine Weinsuppe und einen Schoppen Wein mit Weck. Am Tag vor der Hinrichtung reichte man ihr zusätzlich Branntwein, am Morgen des Hinrichtungstags ein „Maß alten Weins“.
Die Blutschöffen
Zu dieser Zeit waren bereits die Deputierten aus den Dörfern der Cent in Umstadt eingetroffen. Es waren u. a. die Schultheißen Adam Beckenhaub aus Klein-Umstadt, Nikolaus Haas aus Richen, Conrad Georg aus Semd, Jacob Hoffmann aus Brensbach und Peter Lippert aus Amorbach. Die Herren übernachteten in der Krone am Markt bei Johann Nicolaus Emrich. Sie sollten zusammen mit Oberbürgermeister Georg Adam Weber, den Ratsmitgliedern Johann Georg Hundt und Johann Nicolaus Emrich unter dem Vorsitz des Stadtschultheißen Sturmfels als „Blutschöffen“ ihres Gerichtsamts walten. Der Zimmermann Johannes Keller hatte für sie bereits den „Gerichtsstuhl“ aufgeschlagen.
Der 25. April 1754
Letzte Vorbereitungen
Schon am frühen Morgen strömten die Menschen – teilweise von weit her – zum Marktplatz der Stadt. Bald war er prall gefüllt von einer erwartungsfrohen Menschenmenge. Das Spektakel, so muss man es nennen, hatten die Umstädter sorgfältig vorbereitet. Für die Sicherheit war gesorgt. Die Dörfer, die zur Cent Umstadt gehörten, hatten insgesamt 26 Schützen, Amts- und Centcorporale abgeordnet, die – neben 18 eigens bestellten Wachmännern – dafür zu sorgen hatten, dass alles seinen geordneten Gang nahm. Damit sie bei Laune blieben, versorgte sie der Bäcker Bernhard Frieß auf Weisung des Stadtschultheißen mit Wein und Weck.
Neben dem Biet hatte ein Schreiner einen schweren, eichenen Stuhl aufgebaut, davor war Sand breit ausgestreut. In der Nähe saßen auf eigens gefertigten Stühlen die 14 „Blutschöffen“ in „dunklen Mänteln“. Sie waren durch Schranken (man spricht noch heute von den „Schranken des Gerichts“) von dem gemeinen Volk abgetrennt. In der Nähe war eine Abordnung der Umstädter Schützen postiert.
Die Hinrichtung
Als der Stadtschultheiß Sturmfels – stolz zu Pferde – auf dem Markt erschien, kam In die erwartungsfrohe Menge Bewegung,. Er hatte als Gerichtsvorsitzender die Oberaufsicht über das Geschehen, das nun seinen Gang nahm. Aber noch war die Hauptperson nicht erschienen. Ungeduld machte sich breit. Schließlich war es dann so weit. Vom Rathaus her kam Barbara – weiß gekleidet in einem „decolltierten“ Hemd – mit geistlicher Begleitung auf ihrem letzten, schweren Gang zum Ort der Hinrichtung neben dem Biet. Ihrer unglückseligen Mutter, die in der Nähe im Gefängnis saß, blieb dies alles natürlich nicht verborgen. Im verharmlosenden Bürokratendeutsch heißt es in den Urkunden, sie sei „etwas unpaß“ gewesen, weshalb man ihr eine Fleischsuppe und einen Schoppen Wein zusätzlich gebracht habe.

Nach einem Gebet und geistlichem Zuspruch nahm Barbara auf dem Hinrichtungsstuhl Platz. Hinter ihr hatte sich bereits der Umstädter Scharfrichter Johann David Klotz. postiert, vielleicht traditionell prächtig rot gekleidet.. In seinen Händen hielt er das imposante Umstädter Richtschwert aus einer Solinger Werkstatt. Es war über einen Meter lang, zweischneidig mit gerundeter, schwerer Spitze. Auf ein Zeichen des Schultheißen schwang Johann David das Schwert und schlug Barbara mit einem kräftigen Schlag den Kopf ab, der in den vor dem Stuhl aufgeschütteten Sand fiel.
Nach der Hinrichtung legte man die Leiche – bekleidet mit einem weißen Totenhemd, weißen Strümpfen und einer weißen Haube – in einen bereitgestellten Sarg. Den brachte der Scharfrichter mit großem Gefolge zum Dieburger Tor hinaus auf den „Armensünderweg“ zum Platz des Galgens. Heute steht an dieser Stelle der Aussiedlerhof Münch an der B 45. Dort wurde Barbara Moserin – wie alle in Umstadt Hingerichteten – begraben. Auf dem christlichen Friedhof vor der Stadt war kein Platz für die „Sünderin“.
Die Mutter Anna Maria Wörtche
Kaum war Barbara Moßer unter der Erde, schon waren die Centdeputierten ungeduldig wegen des Schicksals der im Steinbornstorturm einsitzenden Mutter. Gleich am folgenden Tag (28. 04. 1753) baten Abgesandte der Cent das Oberamt um „Beförderung der Sache wegen der Wortigin. “ Alles ging ihnen zu langsam. Sie erinnerten auch in den folgenden Wochen die Beamten, die Angelegenheit zu einem Abschluss zu bringen. Außerdem war noch ein weiteres Problem zu lösen: Barbara hatte einen kleinen Sohn zurückgelassen, dessen man sich annehmen musste. Hierüber verfassten die eifrigen „Deputierten“ am 19. und 26.06.1753 ein „memoriale“, das leider nicht erhalten ist.
Die Landesverweisung
Nicht lange danach, am 05. 07. 1753, konnte unter die Angelegenheit ein Schlußstrich gezogen werden. Der Scharfrichter und eine Abordnung von Stadt und Cent führten die Mutter der Hingerichteten (wie es in einer Urkunde zu einem ähnlich gelagerten Fall heißt) „über den Markt durch die Stadt und Vorstadt und weiter den Dieppurger weg hinaus gegen das Gericht zu (damit ist der Galgen gemeint) biß an den Steg, da der Pfad uff Semd zugehet“. Dort wurde sie „beider höchst und hochgedachten gnädigen Herrschaften Landschaften und Gebieten immer und ewiglich verwiesen und verschwohren„. Ob man die alte Frau, wie es bei Landesverweisung üblich war, zuvor, „eine halb stundt“ an den Pranger auf dem Markt stellte und sie dann „mit ruthen ausstrich“, ist nicht belegt. Vielleicht ersparte man ihr dies. Wir möchten es hoffen. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
Der Abschluss in der „Krone“

Die Deputierten versammelten sich, nachdem sie in die Stadt zurückgekehrt waren, in der „Krone“ am Markt zum üblichen Verzehr auf Kosten der Cent. Sie ahnten nicht, dass sie wegen einer Hinrichtung zum letzten Mal zusammen saßen. Der Centverband Umstadt verlor bis zu seiner Auflösung im Jahr 1821 immer mehr an Bedeutung. Der Scharfrichter hatte in Umstadt nichts mehr zu tun. Er blieb nur noch als Wasenmeister für die Verwertung und Beseitigung von Tierkörpern zuständig. Der Galgen vor den Toren der Stadt verfiel. An ihn erinnert heute nur noch ein Flurname.
Quellen
Die Akten der Gerichtsverhandlung gegen Barbara Wörtche sind nicht mehr vorhanden. Ihre Verurteilung und die Begleitumstände ihrer Hinrichtung sind den Akten „Abt.IV Konv.12 Fasz.3″ im Stadtarchiv Groß-Umstadt zu entnehmen. Es handelt sich dabei um die Centrechnung für das Jahr 1757.